Offenes Singen am 17. April

„Wohl auf, wohl an, der Tag hebt an!“
oder
„Sehet den Morgen strahlend hell aufdringen“

Sonntagssingen am 17. April 2011 im Haus der Heimat, Stuttgart.

Für diesen Tag war auch noch die Feier zum 100. Geburtstag von Kurt Wager angesagt, sowie die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg. Wir konnten daher noch einige neue Sänger/Innen begrüßen.
Zum morgendlichen Singen hatten sich 53 Teilnehmer/Innen eingefunden. Die Singleitung teilten sich Gerlind Preisenhammer und Herbert Preisenhammer, wir aber durften immer S I N G E N !

Wohl auf, wohl an, der Tag hebt an!
Sehet den Morgen strahlend hell aufdringen,
Der Morgen, das ist meine Freude,
Galija/Sonne im Mai,
Blütenbaum,
Sommer ist ins Land gekommen,
Nun stäubt das Korn im Winde,
Bunte Blätter wiegt der Morgenwind,
und viele weitere wunderschöne Lieder. E

s ist schön mit vielen Gleichgesinnten, die mit Begeisterung den beiden Chorleitern „folgten“, einen wunderbaren „Singe-Sonntag“ zu erleben und gleichzeitig mitzugestalten. Einen besonderen Dank an unsere Chorleiterin Gerlind Preisenhammer und unseren Chorleiter Herbert Preisenhammer.

Helmut Preisenhammer, Winnenden

Feierstunde der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg zum 100. Geburtstag von Kurt Wager am 17. April 2011 im Haus der Heimat in Stuttgart.

Festrede von Herbert Preisenhammer: Beim Blick in die Runde hier kann man seine Freude kaum verbergen, dass sich heute so viele Trachtenträger eingefunden haben, um bei dieser Gedenkstunde auch eine gewisse Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Der, zu dessen Gedenken wir heute zusammen gekommen sind, Kurt Wager, hätte sicher auch seine Freude an dem bunten Bild gehabt und an der Vielseitigkeit der Trachten.

Liebe Familie Wager, vor allem liebe Elli, liebe Freunde!

Begegnungen und Visionen, so kam mir sofort in den Sinn, als mich Reinhold Frank als Vorsitzender und im Auftrag des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanzund Spielkreise in Bad.-Württ. fragte, ob ich hier einige Worte des Gedenkens zum morgigen 100sten Geburtstag von Kurt Wager sagen könnte – also:

Kurt Wager – Begegnungen und Visionen

Meine Begegnungen reichen nicht so weit zurück wie bei manchen hier aus der aller ersten Zeit. Denn als der Stuttgarter Spielkreis im Jahr 1947, etwa zweieinhalb Jahre nach Kriegsende, von Kurt gegründet wurde und fünf Jahre später die Arbeitsgemeinschaft, da drückte ich noch lange die Schulbank.

Meine ersten Begegnungen mit Kurt Wager reichen ins Jahr 1957 zurück. Bei den Festlichen Tagen Deutscher Jugend in Münster wagte ich erste Volkstanzschritte, am 1. August ging es dann auf der Freilichtbühne des Stuttgarter Killesbergs schon besser.

Im Dezember desselben Jahres 1957 war ich zum ersten Mal im Stuttgarter Spielkreis. Von lauter unkomplizierten jungen Mädchen umgeben machte mir das Singen von österreichischen Weihnachtsliedern trotzdem keinen Spaß! Ich dachte damals nicht an eine Dauereinrichtung, doch diese Un-Vision sollte täuschen.

Schon im Januar 1958 hatte Kurt Wager die Vision, mich als Singleiter aufzubauen. Als schüchterner Musikstudent wurde ich öfters als mir lieb war in die Öffentlichkeit gedrängt. Doch dieses Jahr 1958 hatte es in sich. Ich konnte nicht mehr umkehren. Ab Januar leitete ich freitags das Singen im Spielkreis und war montags beim Tanzen im Jugendhaus Mitte hier drüben bei der Liederhalle.

Im Februar gab’s einen Volkstanzball in Obertürkheim und am Karfreitag 1958 das erste Singen beim Südwestdeutschen Spielkreis in der Stuttgarter Jugendherberge.

Das erste Offene Singen des Stuttgarter Spielkreises im Gustav-Siegle-Haus fand am 15. April 1958 statt. Kurt leitete das Singen mit dem Saal, ich sang mit dem Chor vor; so begann die Vision einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen – zugegeben – sehr unterschiedlichen Partnern. Für dieses Singen entstand auch das aller erste Liedblatt der ganzen AG-Reihe, die schließlich zum AG-Liederbuch führte. War dies auch so eine Vision von Kurt?

Im gleichen Jahr überschlugen sich dann die Ereignisse:
– Am 18. Mai war ein Killesbergtanzen, bei dem die Gruppe aus Seifhennersdorf in der Oberlausitz zu Besuch war.
– Am 24. und 25. Mai hatte der Spielkreis ein Treffen in Maulbronn
– Am 6. Juni waren Südafrikaner zu Besuch
– Von 12. bis 17. Juni fuhren wir nach Seifhennersdorf
– Dann war vom 1. bis 13. Juli die Spielfahrt nach Flandern, u.a. zur Weltausstellung in Brüssel, nach London, wo wir mit vielen Nationen in der Royal-Albert-Hall tanzten und musizierten, sowie nach Cardiff, der Partnerstadt von Stuttgart.

Aber das Jahr war noch lange nicht zu Ende, denn es folgte noch im Juli ein Besuch der Dänen. Dann hatte ich ein besonders spannendes Erlebnis mit Kurt Wager. Er nahm mich mit als Klavierspieler zu einem Volkstanzlehrgang nach Hof. Da hatte ich jeden Tag mehrere Stunden in einer Turnhalle zu spielen und wir führten mit der dortigen Leitung manch interessantes Gespräch. Es folgten noch eine Arbeitswoche der AG sowie ein Treffen des Südwestdeutschen Spielkreises in Michelbach sowie ein Wochenendetreffen in Bad Liebenzell. Am 24. August waren wieder Südafrikaner auf dem Killesberg, es folgte noch eine Woche auf Burg Stettenfels, auch waren Schotten im Garten bei Helene Schnell.

Ich berichte dies alles aus dem Jahr 1958, weil diese Fülle an Ereignissen und Begegnungen so unvorstellbar ist, weil es Menschen bedurfte, die da immer mitmachten und weil es einen Kopf gegeben hat, der zu allem den Anstoß gab. Es war ein Aufbaujahr mit Initialzündung, mit Begeisterung und mit Visionen.

Wir konnten wieder im Konzert der Völker mitspielen und lernten unser eigenes Volkstum besser schätzen und begreifen.

Die Universalität eines Kurt Wager hat uns die Augen geöffnet für die Zusammenschau, für die ganzheitliche Betrachtung alles dessen, was Volkskultur ausmacht. Tanzen und Singen natürlich, aber ebenso Volkstanzmusik, Laienspiel, Werkarbeiten und Fest- und Feiergestaltung, das Achten anderer Kulturen und die Begegnungen mit ihnen sowie das Erkennen von Gemeinsamkeiten der europäischen Volkskultur. Alle hervorragenden Leiter von Gruppen und Organisationen, von Schweden, Dänemark und Flandern bis nach Österreich, Südtirol und Südafrika, waren seine Freunde, und – zugegeben – der Mittelpunkt aller Begegnungen in Deutschland war eben Stuttgart.

Ein Ausspruch von Kurt Wager ist mir im Gedächtnis geblieben. Ein Kulturphilosoph oder –historiker sagte einmal sinngemäß: Nur ein ganz geringer Prozentsatz aller Deutschen kennt Beethoven und seine Werke. (man könnte hier jeden Namen der Geistesgeschichte nennen und auch jedes europäische Volk). Und doch ist dieser Beethoven nicht aus der deutschen Geistesgeschichte wegzudenken und es wäre ein großer Verlust, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Und Kurt sagte dann: Ist es eine Anmaßung, wenn ich sage, nur wenige Deutsche kennen ihre Volkskultur, kennen ihre (unsere) Tänze und Lieder. Es wäre ein ebenso großer Verlust, wenn es sie nicht gäbe.

Das ist nun die folgerichtige und visionäre Fortsetzung eines bekannten Ausspruchs von Peter Rosegger, der sinngemäß gesagt hat: Gebt dem Volk seine Lieder wieder, dann gebt ihr ihm seine Seele zurück.

Als ich mich dann für alle unangekündigt nach Wien zum Weiterstudium absetzte, begann im Spielkreis und in der AG eine viereinhalbjährige Interimszeit.

Doch 1960 war nochmals eine große Begegnung mit Kurt und dem Spielkreis. Gemeinsam richteten sie Ende August unsere Hochzeit aus. Viele halfen mit beim Vorbereiten und Organisieren, Brautbogen und Brautkrone wurden kunstfertig hergestellt. Das Ausrichten von Hochzeiten lag Kurt Wager besonders am Herzen, und hier sitzen einige, die Kurt auch unvergessliche Feste zu verdanken haben. Der neunjährige Hartmut Wager trug die Brautkrone, Gudruns Schwester Helga mit Rüdiger Kinzler den Brautbogen, voraus gingen die Unverheirateten, hinter dem Brautpaar die Verheirateten. Außer manchen Verwandten zogen alle in Festtagstracht von der St. Clemenskirche in Stuttgart-Botnang um den ganzen Häuserblock zur Sängerhalle, wo mit annähernd 200 Gästen gefeiert wurde.

Mit Kurt war vereinbart, dass ich bei einem einwöchigen Volkstanzlehrgang in der Jugend- und Sportleiterschule im Filderort Ruit auf dem Klavier zum Tanzen spielen sollte. Dieser Lehrgang begann zwei Tage nach unserer Hochzeit, wir hatten also statt Flitterwochen eine Filderwoche. Anfang September fuhren wir noch mit dem Spielkreis nach Rotterdam zur Floriade, dann brachte uns Helene Schnell mit ihrem VW-Bus und mit unseren wenigen Habseligkeiten nach Wien.

Ein anderes Thema möchte ich noch ansprechen. Die Familie Wager war 1962 mit der Geburt des vierten Sohnes Wulf zusammen mit der Oma auf sieben Personen angewachsen. Kurt und Elli waren fast jeden Tag bei Übungsabenden in Sachen Volkstanz unterwegs, sie waren also freiberuflich tätig. Jeder von uns, der sich mit Volkstanz beschäftigt, hat einen Beruf und übt seine Nebentätigkeit meist ehrenamtlich aus. Die Familie Wager aber musste davon leben, und dass bei dieser von Medien und amtlichen Stellen bis heute gering geschätzten Tätigkeit keine Reichtümer anzuhäufen sind, weiß jeder hier im Saal. Wagers mussten also sehen, wie sie mit ihrem Geld auskamen. In der ersten Zeit stand nach dem Volkstanzabend im Jugendhaus Mitte Kurt mit seinem Hut an der Türe und jeder durfte sein Fuffzigerle hineintun. Das war eigentlich schon damals ein beschämender Anblick. Mich persönlich hat Kurt immer nach den bestehenden Möglichkeiten „entlohnt“. Aus meiner Sicht ging es ihm selber (und auch mir) vorrangig immer erst um die Sache, um die Pflege und Weitergabe von Volkstanz und Volkslied, in zweiter Linie darum, was er dafür bekam.

Nach unserer Rückkehr nach Stuttgart im Sommer 1964 begann die große Zeit der Zusammenarbeit, der Begegnungen und Visionen zwischen Kurt, seiner und unserer Familie. Unzählige Lehrgänge und Fahrten machten wir zusammen. Selten ließen wir ein Winterlager mit anschließender Volkstanzwoche aus, waren sehr oft auf der hochsommerlichen Arbeitswoche in der Obst- und Weinbauschule Laimburg in Südtirol, organisierten Singwochenenden mit Hermann Derschmidt und Werner Gneist, die Südwestdeutschen Spielkreise blühten, viele vom Stuttgarter Spielkreis halfen oft ganze Wochenenden bei Wagers bei der Büroarbeit aus. Die Heimattage waren Höhepunkte, die Arbeitsgemeinschaft für Heimat- und Volkstumspflege ermöglichte manches Projekt, die Stuttgarter Advents-Singen wurden zu einer auch von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Institution.

Eine weitere Bereicherung im Gruppenleben vom Stuttgarter Spielkreis bildeten die jährlichen Aufführungen von Totentanz, Christgeburtspiel und Offenem Liedersingen, dazu unzählige Besuche aus dem Ausland, oft gekoppelt mit Volkstanzfesten in der Freilichtbühne auf dem Killesberg mit Hunderten von Trachtenträgern. In dieser Zeit erfüllten sich durch zähes Festhalten ganz sicher viele Visionen von Kurt Wager. Schon alleine diese unvollständige Aufzählung lässt erahnen, welche Logistik und wie viele Mitarbeiter nötig waren, all dies durchzuführen.

Zum Schluss nun die Frage: Was blieb, was können wir von Kurt lernen?
Am vergangenen Wochenende war ich beim 60jährigen Jubiläum der Kuhländler in Ludwigsburg. Der Verein hat das Motto: Vergangenheit kennen – Zukunft gestalten. Viele Vertriebenenorganisationen holten Kurt Wager zu Lehrgängen, denn er erkannte, dass das Kulturgut, das die deutschen Vertriebenen mitbrachten, ebenso gepflegt und in das gesamte deutsche Kulturgut mit einbezogen werden müsse. Meine Ausführungen sollten etwas zum Kennen der (Spielkreis)-Vergangenheit beitragen.

Dass die AG heute weiterlebt und in allen Bereichen gut aufgestellt und repräsentiert ist, kann man koppeln mit der hervorragenden Eigenschaft von Kurt. Neben dem persönlichen, autodidaktischen Aneignen von Wissen und einer ungeheueren Selbstdisziplin war es vor allem sein Durchhaltevermögen, sein Festhalten an der einmal gewonnenen Einsicht, dass man Gutes durch immer währende Wiederholung noch verbessern könne. Viele, die hier mit ergrautem Haar dieser Feierstunde beiwohnen, wissen, wovon ich spreche. Die Volkstanzwoche lebt seit über 50 Jahren, die Wintersingwoche, aus dem 4-tägigen Winterlager hervorgegangen, erfreut sich großer Beliebtheit, das Stuttgarter Advents-Singen wird 40 Jahre alt. Kurt Wager war einmalig, aber wir alle können ein bisschen Kurt Wager sein: Wagen wir, Bewährtes gut und so lange wie möglich weiterzugeben und begeistern wir damit unsere Mitmenschen und unsere Nachkommen. Es ist eine wirklich lohnende und fröhliche Aufgabe!