Offenes Singen 21. Mai 2011

Offenes Liedersingen am 21. Mai 2011 im Sudetendeutschen Haus in München
„Lebensweisheit in Scherzliedern“

Gleich zwei Jubiläen hatte die Walther-Hensel-Gesellschaft (WHG) heuer zu feiern, wie Helmut Janku zum Auftakt feststellte: Vor 50 Jahren war die WHG in München gegründet worden und seit 10 Jahren bietet die WHG ein Offenes Frühlingssingen mit Herbert Preisenhammer im Sudetendeutschen Haus an. Das sonnige Maienwetter passe so recht zum Feiern, stellte Heimatpflegerin Zuzana Finger bei ihrer Begrüßung fest. Vor einem Jahr hatte sie noch als „Zaungast“ am WHG-Singen teilgenommen, heuer kam sie als Heimatpflegerin und Mitveranstalterin in die Runde der 50 Singbegeisterten.

Während in den vergangenen Jahren u.a. Wanderlieder, Handwerkerlieder, Maienlieder oder Lieder zum Tageslauf im Mittelpunkt standen, war heuer der „Scherz im Volkslied“ zum Thema gewählt worden. Volkstumspreisträger Herbert Preisenhammer hatte in seinem Liederheft eine Fülle von allgemein bekannten und weniger geläufigen Beispielen mitgebracht, um sie in gewohnter Weise erklärend und mit Schwung einzustudieren.

Manch einer der Teilnehmer merkte bald, dass es nicht nur einfache lustige Lieder gibt, die z.B. die Sänger foppen („Jetzt fahrn wir übern See“) oder als Zungenbrecher herausfordern („Drunten in der grünen Au“). Viele scherzhafte Volkslieder haben einen tieferen Sinn. Sie kommen scheinbar mit vordergründigem Spaß daher, bieten aber bei näherem Hinsehen höchst aktuelle Bezüge.

So macht im Schönhengster Lied “Der Eichhorn mit seiner Eichhörnerin“ die verstoßene Ehefrau ihr Glück in der Fremde und zeigt bei ihrer Rückkehr dem früheren Partner dann die kalte Schulter. Wer denkt da nicht an die hohe Scheidungsrate in der heutigen Gesellschaft?

„Zu Poitschedorf san schiene Maid“ aus dem Kuhländchen reguliert die Eheanbahnung drastisch: Damit auch die weniger hübschen Mädchen eine Chance haben, müssen die Burschen unter verschleierten Kandidatinnen wählen. Die Partnervermittlung per Internet ist von diesem Verfahren nicht allzuweit entfernt.

Im Frage- und Antwort-Lied aus der Pressburger Gegend „Sog, Maderl, mogst an Edlknobn“ lehnt das Maderl die Bewerber mit Handwerksberufen, auch den Schreiber und den Lehrer ab, um sich schließlich für den Bauern zu entscheiden. Daraus kann man mühelos den in unserer Zeit vielfach gehegten Wunsch nach dem „einfachen Leben auf dem Land“ heraushören.

Die „Kuckucksuhr“ aus der Schönhengster Sprachinsel malt mit kräftigen Strichen eine turbulente Geschichte vom frühen Morgen am Bauernhof. Die Bäuerin will den Arbeitstag des Gesindes verlängern und stellt die Uhr voraus, aber sie scheitert an der Pfiffigkeit des Kuhhirten, der sogar einen drohenden Einsatz von Waffengewalt vermeidet. Wenn man Bäuerin und Kuhhirt als Arbeitgeber und Gewerkschaft interpretiert, ist man in der Gegenwart unseres Sozialstaates angekommen.

Ebenso farbig gibt sich auch der „Schlesische Bauernhimmel“, den Helmut Janku als Vorsänger intonierte. In 31 Strophen wird ausgemalt, was den Schlesier im Jenseits erwartet: Nicht nur eine Fülle leiblicher Genüsse (vor allem natürlich schlesische Spezialitäten), sondern auch die Freiheit von Wohnungsnot, Krankheiten und von Bedrängnissen durch die Obrigkeit (Bürgermeister, Polizei, Richter, Advokat). Diese Sehnsüchte machen deutlich, wie karg es im realen Leben der ärmeren Schlesier zugegangen sein mag. In der Pause des Offene Singens gab es einen kleinen aber realen Vorgeschmack aufs „Himmelreich“ mit selbstgebackenen Kuchen von Renate Janku und einer vielfältig bestückten Getränketheke.

So gestärkt konnte die zweite Hälfte des Nachmittags angegangen werden, in der Herbert Preisenhammer Mundartlieder aus Iglau, aus dem Egerland, aus Schwaben und der Schweiz anstimmte. Neue Texte gleich in Mundart zu singen erforderte volle Konzentration bei allen Teilnehmern. Waren sie doch schon zu Beginn des Nachmittags in Form von Gstanzln aufgefordert worden: „Lasst die Lieder recht schön erklingen, könnt sein, Hensels Geist hört uns zu beim Singen!“ Er mag wohl zufrieden gewesen sein.

Dr. Helmut Janku, Traunreut