Aus dem Rundbrief Nr. 55 – Dezember 2010

Liebe Freunde in der Walther-Hensel-Gesellschaft,

liebe Leser dieses Rundbriefs!

Über die verschiedenen Maßnahmen, die wir in diesem Jahr sehr erfolgreich durchgeführt haben, wird in diesem Rundbrief ausführlich berichtet. Als Verbandsorgan, das nur einmal jährlich erscheint, liegt manches länger zurück. Auch soll der Jahresrundbrief eine Verbindung herstellen zwischen unseren Mitgliedern, aber ebenso zu befreundeten Organisationen und Personen. Aus dem Archiv hat Helmut Preisenhammer in der Geschäftsstelle wieder ein interessantes Detail aus Walther Hensels Schaffen gefunden und stellt es hier vor. Unser Hauptanliegen, das Singen in der Gruppe bzw. im Chor, ist in letzter Zeit öfters in die Öffentlichkeit getragen worden.

In der Ausgabe vom 24. März 2009 brachte „Die Zeit“ einen großen Artikel unter der Überschrift „Die schlichte, schöne Art des Volkes“. Dann liest man weiter: Das wichtigste deutsche Liederbuch des 20. Jahrhunderts: „Der Zupfgeigenhansl“ der Wandervögel wird 100. Der lesenswerte Beitrag von Lutz G. Wetzel enthält neben Ungenauigkeiten auch gewagte Thesen. So z.B. (Zitat): „Große Teile der heutigen Schulmusik, der Musikpädagogik, der Volksliedpflege und die Musikkultur in den Jugendgruppen sind ohne die Einflüsse des ‚Zupfgeigenhansl’ und der Jugendmusikbewegung nicht denkbar“. Weiter unten heißt es dann treffender (Zitat): „Heute finden die Jugendbewegung und ihre Lieder im kulturellen Gegenwartsbewusstsein keine direkte Zuordnung mehr. „Wie peinlich, meine Mutter singt Nazi-Lieder“, stöhnte die 14-jährige Tochter, als die 50-jährige beim Bügeln ‚Es dunkelt schon in der Heide’ trällerte.

Am 1. Februar 2010 las man in den Stuttgarter Nachrichten einen Artikel unter der Überschrift „Musik ist Kraftfutter fürs Gehirn“. ‚Gemeinsames Singen verbindet, sagte der Musiker und Therapeut Wolfgang Bossinger.

Im März schrieb dieselbe Zeitung: „Wenn ein Kind singt, fühlt es sich wohl“. Und weiter: „Was man nicht sagen oder schreiben kann, das singt man.“ Die BdV-Nachrichten März/April/Mai 2010 bringen einen Artikel „Der Tod des deutschen Volkslieds“. In drei Szenarien wird beschrieben, dass deutsche Jugendliche kein deutsches Volkslied singen können, wenn bei internationalen Begegnungen dies von ihnen erwartet wird. Fazit aus dem selben Beitrag (Zitat): „Man muss nach den Ursachen fragen, denn eine Naturnotwendigkeit war das Sterben der Volkslieder in Deutschland nicht – das zeigt ein Blick auf alle europäischen Nachbarländer, in denen das gemeinsame Singen zum Alltag gehört. Deutschland geht hier einen Sonderweg.“

Die Öffentlich-Rechtlichen tragen unserer Meinung nach eine nicht unerhebliche Schuld an dieser deutsch-spezifischen Lage. Z.B. gab es lange Jahre im Westdeutschen Rundfunk unter dem zuständigen Abteilungsleiter Schmitz große Singveranstaltungen. Im damaligen SDR in Stuttgart wurde unter dem Abteilungsleiter Weidelener jahrzehntelang das „Offene Volksliedsingen“ aus dem Stuttgarter Gustav-Siegle-Haus übertragen. Allmählich wurden in allen Rundfunkanstalten, außer dem Bayerischen Rundfunk, die Volkslieder und die Volksmusik, wie wir sie verstehen, zu Gunsten des volkstümlichen Einheitskitsches verbannt. Keiner der Rundfunkräte nahm wohl das „Öffentlich-Rechtlich“ ganz ernst.

Und nun reibt man sich verwundert die Augen: Der SWR Stuttgart macht sich zum Vorreiter der Wiegenlieder, dann der deutschen Volkslieder.

Dazu lesen wir in der Sudetendeutschen Zeitung (Zitat): „In diese Misere hinein (Misere der Liederunkenntnis) hat der Sänger Cornelius Hauptmann eine Initiative gestartet, die das (deutsche) Volk wieder zum Singen bringen soll. In deren Folge erschien vor einem Jahr der Band ‚Wiegenlieder’, dem jetzt ‚Volkslieder’ nachgefolgt sind. Clou der Bände ist, dass jeweils eine Mitsing-CD beigegeben wurde, vom SWR produziert. Der SWR hat darüber hinaus noch zwei separate CDs zu diesen Bänden herausgebracht mit vielen berühmten Sängern: Juliane Banse und Christian Gerhaher sind da zu hören, Mojca Erdmann und Dietrich FischerDieskau, Christiane Oelze und Michael Volle…Aber wie das manchmal ist bei so viel gut gemeinter Absicht – das Ergebnis ist gnadenlos ernüchternd.“

Weiter heißt es dann (Zitat): „Demnach kann man immer dann von ‚Volkslied’ sprechen, wenn ein Stück von vielen Menschen gesungen wird. Es setzt aber voraus, dass eine Melodie eingängig ist und von normalen Menschen technisch bewältigt werden kann. Diese Verankerung im Laienmusizieren ist wesentlich, denn sie bestimmt nicht nur die Faktur der Melodien, sondern auch die Art, wie diese Musik aufgeführt werden muss. Daraus erklärt sich dann geradezu zwangsläufig, weshalb Volkslieder von klassisch ausgebildeten Profimusikern vorgetragen, leicht läppisch und lächerlich klingen. Wenn ein solcher Profi mit seinem Können auf ein schlichtes Volkslied losgeht, wird die Musik geradezu zwangsläufig unerträglich.“ Soweit dieses Zitat aus dem ebenfalls lesenwerten Beitrag von Reinhard J. Brembeck.

Nun ist es mit allen Zitaten schwierig, die aus dem Zusammenhang herausgelöst sind. Aber ich denke, dass diese Aussagen schon eindeutig sind. Wir beenden dieses Jahr mit vielen guten Gedanken an frohe, gemeinsame Stunden, die wir mit Singen, Musizieren, Tanzen, Handarbeiten und Geselligkeit an vielen Orten verbracht haben. Viele haben uns geholfen, haben sich dafür eingesetzt, dass alle unsere Vorhaben gut gestaltet wurden. Dafür sind wir von Herzen dankbar.

Im nächsten Jahr sind es 50 Jahre her, dass die Walther-Hensel-Gesellschaft von Freunden und Weggefährten Walther Hensels fünf Jahre nach seinem Tod gegründet wurde. Noch haben wir im Vorstand eine Mannschaft (drei Frauen und drei Männer), die sich mit Rat und Tat für die Ziele der WHG einsetzt. Bei jedem Singtreffen und auf jeder Singwoche sind Vorstandsmitglieder als Leiter oder Referenten tätig. Obwohl die Teilnehmerzahlen bei den Singwochen zurückgehen, sehen wir noch voll Zuversicht ins Jubiläumsjahr.

Alle Leserinnen und Leser unseres Rundbriefs möchten wir dazu ermuntern, verstärkt für das Singen zu werben. Es ist eine wohltuende und gesunde Betätigung. Der Vorstand der Walther-Hensel-Gesellschaft wünscht allen frohe Festtage und ein gesundes Neues Jahr.

Wie sagte eine Teilnehmerin unserer Singwochen immer treffend: Auf Wiedersingen im nächsten Jahr!

Herzliche Grüße namens des Vorstandes

Herbert Preisenhammer
Im November 2010

Zum Gedenken

Soweit uns bekannt wurde, haben uns wieder viele Freunde und Teilnehmer unserer Singwochen für immer verlassen. Sie waren der Singbewegung treu verbunden und haben sich stets für unsere vielfältigen Aufgaben eingesetzt. Wir werden ihnen ein ehrendes Andenken bewahren.

Herr Heiner Bethge 29.06.2010

Frau Rautgundis Becker 18.10.2010

Frau Angela Bretzel 05.09.2010

Herr Emil Hirschbiel 27.08.2010

Frau Irma Holley 2010

Frau Ingeborg Konhäuser 05.03.2010

Herr Richard Seidler 09.02.2010

Frau Hildegund Waelzel 25.10.2010

 

Wie betrübend es auch sei,
es ist ein Naturgesetz, dass
Menschen sterben, und haben
sie recht gelebt und ihr Alter
in Kindern verherrlicht, so sterben
sie nicht ganz; denn in den
Ihrigen lebt die Erinnerung fort, ie Erinnerung fort,
bis sie erst in Enkeln nach und
nach ausbleicht. Und so ist es
recht, dass die Welt immer als
ein frisches, ursprüngliches,
herrliches Ganzes dasteht, als
wäre sie erst gestern aus dem
Haupte des Schöpfers entsprungen.

Adalbert Stifter

 

Herbert Preisenhammer erhielt beim Herbert Preisenhammer erhielt beim Sudetendeutschen Tag in Augsburg den Sudetendeutschen Volkstumspreis 2010

Laudatio von Dr. Torsten Fuchs (†) – aktualisiert

Wie berichtete der Leipziger Thomaskantor 1730 an seinen Jugendfreund Georg Erdmann nach Danzig, seine familiäre Situation beschreibend: „Insgesamt aber sind sie (die Kinder d.V.) gebohrne Musici, und kann versichern, dass schon ein Corcert Vokaliter u. Instrumentaliter mit meiner Familie formiren kann“. Ein geborener „Musici“ ist der Kuhländler Herbert Preisenhammer allemal, und ein Hauskonzert bringt er jederzeit zusammen mit seiner Frau, den drei Kindern sowie einigen Enkelkindern. Dass die Musik das Preisenhammersche Leben bestimmt, kommt allerdings nicht von ungefähr. Seine Mutter, eine ausgebildete Sängerin, unterrichtete den erst Sechsjährigen im Klavierspiel, später kam die Geige hinzu. Die Tasteninstrumente führten ihn dann direkt zur kirchenmusikalischen Praxis als Organist.

Herbert Preisenhammer kam am 7. Juli 1936 in Witkowitz bei Mährisch Ostrau zur Welt, musste somit als Neunjähriger seine Heimat verlassen und fand in Winnenden bei Waiblingen mit seinen Eltern und den zwei Brüdern das neue Zuhause. Maßgeblich für die weitere Lebensplanung blieb die Musik, nicht zuletzt wegen der häuslichen musischen Atmosphäre. So waren Vater und Mutter frühe Mitglieder der sudetendeutschen Wandervogelbewegung gewesen. Thekla Preisenhammer hatte bereits 1923 an der ersten Singwoche in Finkenstein teilgenommen. Begegnungen mit Walther Hensel auf Singwochen nach dem Zweiten Weltkrieg und im Elternhaus in Winnenden prägten künstlerisch-ästhetische Maximen des angehenden studiosus musicae Herbert Preisenhammer, der seit 1952 (16jährig) bereits als Organist an der katholischen Kirche in Winnenden Dienst tat. Dem Studium der Kirchen- und Schulmusik (u.a. bei Lehrern wie Anton Heiller, Hans Swarowsky, Ernst Tittel, Karl-Michael Komma, Karl Marx) von 1956 bis 1966 in Wien, Stuttgart und Saarbrücken folgte die Anstellung als Lehrer am Elly-Heuß-Knapp-Gymnasium in Stuttgart-Bad Cannstatt. Hier fand Preisenhammer reichlich Betätigung als Musikpraktiker, Pädagoge und Komponist. Und Stuttgart wurde seine Wahlheimat.

Das herausragende Verdienst Herbert Preisenhammers vor dem Hintergrund sudetendeutscher Musikkultur besteht ohne Zweifel darin, dass er es sich zum Anliegen gemacht hat, die Impulse, die von Walther Hensels Singbewegung im Kontext zur Jugendmusikbewegung um Fritz Jöde ausgingen, weiterzutragen und in all ihrer Vielfalt in die pädagogische und musikpraktische Arbeit einzubeziehen. Dahinter steht eine künstlerische Konzeption, die Traditionsbewusstsein mit künstlerischem Neuerertum verbindet, die sinngebend wirken will und auf menschliches Miteinander gerichtet ist, die ethische und ästhetische Ansprüche formuliert. Dass die Finkensteiner Singbewegung noch heute in praxi lebt, dass das Anliegen, Volksmusik auf künstlerisch hohem Niveau, möglichst noch funktionsgebunden, auszuüben noch gilt, ist Preisenhammers Verdienst. Und Wirkungen zeigen sich nicht zuletzt im künstlerischen Anspruch der Singwochen. Stuttgart hat Herbert Preisenhammer einiges zu danken, dem Lehrer Preisenhammer sowieso, aber auch dem Singreferenten und ehemaligen Vorstandsmitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg, der mit seiner Arbeit auch als Vorsitzender der Walther-Hensel-Gesellschaft (seit 1981) und Initiator der Stuttgarter Advents-Singen, heuer im vierzigsten Jahr, regionale und sudetendeutsche Anliegen gut in Einklang und Harmonie brachte und bringt.

Dass die Singwochen der Walther-Hensel-Gesellschaft seit 1992 auch in der Tschechischen Republik stattfinden und eine Patenschaft mit dem Begegnungszentrum „Walther Hensel“ in Mährisch Trübau, dem Geburtsort von Walther Hensel, existiert, zeugt einmal mehr von der herzlichen Verbundenheit zur musikalischen Heimat, aber auch von dem ehrlichen und ehrenden Anliegen der Versöhnung mit den tschechischen Landsleuten aufgrund gemeinsamer musikalischer Wurzeln und Erfahrungen. Die Singwochen der Walther-Hensel-Gesellschaft werden immer noch gerne angenommen. Erst kürzlich ging die Ostersingwoche 2010 auf dem Heiligenhof in Bad Kissingen zu Ende, die 110. in Folge seit 1967.

Dies und alles Genannte aus dem künstlerischen Lebenswerk des Pädagogen, Komponisten, Konzertorganisten und Ensembleleiters Herbert Preisenhammer prädestinierte ihn für die Ehrung mit dem Sudetendeutschen Volkstumspreis 2010.

Die ganze Walther-Hensel-Gesellschaft freut sich mit Herbert Preisenhammer über diese Ehrung und gratuliert ganz herzlich!