Die Sommersingwoche in Cilli – Slowenien 2005

Eine Fahrt in die Vergangenheit (Dienstag 2. August)

Um 8.45 waren wir im Bus versammelt zur Fahrt in die Gottschee. Über die Autobahn Richtung Laibach/Ljubljana fuhren wir eine Stunde bis Grosuplje, um dann noch bis 11.00 Uhr auf der Landstraße aufwärts nach Kocevje/Gottschee zu fahren. Die Eisenbahnlinie hinauf ins Gebirge folgte der Straße. An weiten Almwiesen mit Dolinenkratern und vielen kleinen hübschen Dörfern, in Wäldern gelegen, fahren wir vorbei. Holzwirtschaft scheint die einzige Erwerbsquelle hier zu sein. Als wir endlich den Schweinsrücken, den letzten Pass, überwunden hatten, lag das Gottscheeber Land hinter vielen Hügeln und Wäldern vor uns.

 

Pünktlich trafen wir auf dem Hauptplatz in Kocevje/Gottschee ein, wo uns Herr Ernest Zamiba als Reiseführer des heutigen Tages empfing. Herr Zamiba spricht perfekt deutsch und ist ein deutscher Gottscheer- Gottscheebener. Von Beruf ist er Schlosser und Busfahrer, der sich mit großem Engagement der Geschichte und Heimatkunde seiner Heimat hingibt.
Der Hauptplatz war einst (von 1491 bis1945) vom Schloss der Herren von Auersperg dominiert. Heute steht ein Partisanen-Denkmal und das scheußliches Kaufhaus MAMA an der Stelle. Trotzdem ist die neugotische katholische Kirche noch oder wieder Mittelpunkt des Ortes. Der junge Pfarrer, Herr Anton, führt uns in seine große, lichte Kirche, in der wir mit Staunen die vielen deutschen Inschriften aus der deutschen Zeit vor 1942 finden. Sie wurde 1898 von Friedrich Schmidt errichtet, der auch das Wiener Rathaus erbaut hatte. Mit Trauer erzählt er uns von den Veränderungen in der kommunistischen Tito-Zeit, aber auch von kriegerischen Handlungen der Italiener, der Deutschen, der Engländer, der serbischen Partisanen in der Jahren 1942-1945. Heute wird die Kirche von den Gottscheern in aller Welt erhalten, wie eine Gedenkkerze zum 600jährigen Jubiläum der Besiedlung dokumentierte. Die letzten Siedler vor der großen Pest im 15.Jahrhundert kamen aus Innichen in Südtirol. Die deutsche Gemeinde umfasste bis 1942 12.ooo Gläubige, heute sind es noch 360 in der weiteren Umgebung. In Kocevje leben heute etwa 10% Orthodoxe Christen, 10% Muslims und 80% Römisch-katholische Christen.
In gemeinsamer Runde beteten wir das Vater unser, mit der Bitte um Frieden und Aussöhnung zwischen den Völkern.

 

An dem nächsten Ort unseres Besuches – dem Gottscheebener Museum – wurde uns die verzweifelte Kulturerbe der Gottscheer Deutschen verdeutlicht. Nach der ersten Phase der Unterdrückung seit dem Friedensvertrag von St.Germain1919 begann mit dem Vertrag vom 25.3.1941, in dem das Königreich Jugoslawien dem Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan beitreten musste, die zweite Phase des Unglücks. Durch einen von England lancierten Putsch serbischer Offiziere wurde die neue jugoslawische Regierung gestürzt, und die deutsche Wehrmacht marschierte ein, um den jugoslawischen Staat zu zerstören. Das Mießtal, das Gebiet um den Markt Unterdrauburg wurde dem Reichsgau Kärnten eingegliedert. Angegliedert Geschichte der deutschen Volksgruppe im Gottscheebener Land in der Ausstellung Gottschee: Das verlorene dagegen (- das heißt, es wurde in diesem Gebiet die deutsche Zivilverwaltung eingeführt, dieses Gebiet jedoch nicht dem Deutschen Reich eingegliedert-) wurden die Untersteiermark und ein schmaler Streifen der Unterkrain. Deutsche wie Slowenen feierten die Eingliederung in der Hoffnung, der serbischen Unterdrückung zu entfliehen und altösterreichische Verhältnisse wiederzuerlangen. Jedoch trog die Hoffnung, da die Nazi-Regierung sofort mit selbstherrlichen Eindeutschungsmaßnahmen begann. Auch wurden aus dem nun südöstlichsten Zipfel des Deutschen Reiches, einem Gebiet südlich der Sawe, dem Ranner Dreieck, Slowenen umgesiedelt, um Platz zu machen für die Gottscheer Bauern und die Laibacher deutsche Bevölkerung, deren Gebiet nach dem Vertrag von April 1941 dem Italienischen Staat zugefallen ist.
Im Winter 1941/42 optierten (unter Zwang) 12.100 Gottscheer für die Umsiedlung. Die Alternative wäre die Deportation nach Süditalien oder nach Abessinien gewesen. Nach dem Krieg 1945 wurden die Gottscheer auch aus diesem Gebiet von den Kommunisten vertrieben und mussten sehen, ob sie in Österreich eine Aufnahme finden, die ihnen nur mit großem Widerwillen von der österreichischen Bevölkerung gewährt wurde. Lange mussten sie in österreichischen Barackenlagern leben. Viele wanderten dann nach Cleveland, Toronto, New York und in andere amerikanische Städte aus, in die bereits 1889 notleidende Gottscheer ausgewandert sind.
600 Jahre Siedlungs- und Kultivierungsarbeit der Deutschen war damit beendet. 117 Siedlungen wurden zerstört. Von 123 Kirchen sind 95 zerstört worden. Nur 28 stehen noch heute. Verschwunden sind auch die Friedhöfe, Bildstöcke und Kapellen.

 

Die nun entleerten einsamen Gottscheer Walddörfer waren die idealen Sammelgebiete für die Partisanenbewegung Titos. Die von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete wurden heftig von der Englischen Luftwaffe bombardiert, die selbst auch Stützpunkte in den Gottscheer Wäldern einrichtete. Nach der Kapitulation der Italiener 1943 fiel die Gottschee den Tito-Partisanen in die Hände, die bis 1949 die restlichen deutschen Frauen, Kinder und Greise, aber auch slowenische Weißgardisten (Domobranzen, die den Italienern und den Deutschen im Abwehrkampf gegen die Kommunisten helfen sollten), kroatische und deutsche Soldaten auf Bretter über die tiefen Dolinen stellten und sie erschoss. Es waren etwa 40.000 Opfer zu beklagen, die unbeerdigt in diesen Dolinenschächten noch heute liegen. Erst seit 1989 durfte man das von den Kommunisten als Sperrgebiet deklarierte Gebiet betreten.
Das Leid, das Deutsche wie Slowenen dieses Gebietes durch die „weisen“ Verhandlungsergebnisse weniger verwirrter Politiker ertragen mussten, zeigte die Ausstellung in diesem Museum überdeutlich. Die Ausstellung ist ein Ergebnis der Forschungsarbeit von Mitja Ferenc, einem offiziellen Mitarbeiter der Slowenischen Regierung, die sich um den Erhalt der Gottscheer Kultur bemüht.
Das Mittagessen nahmen wir in einem netten Landgasthof Tušek in Gornje Ložine ein. In einem kleinen Zoo konnten wir Bären bewundern, die noch heute in den Gottscheebener Wäldern zu Hause sind.
Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, dem Kulturhaus der Gottscheebener halten wir an einem Gedenkkreuz in dem ehemaligen Dorf Altlog/Stare log, von dem außer dem Rest des Friedhofes nichts mehr existiert. Zum Gedenken an 100 Kriegstote an dieser Stelle wurde eine Gedenktafel mit der Inschrift „Allen Toten des Gottscheer Landes, die in der Heimat ruhen oder woanders den ewigen Frieden gefunden haben“ angebracht.
Um 16.45 Uhr haben wir nun das Kulturhaus der Gottscheer erreicht, das sie 1998 in dem Gebiet errichtet haben, wo noch in einigen umliegenden Dörfern Gottscheer wohnen. 13 junge Mädchen und Jungen begrüßen uns mit Gottscheeber Liedern, deren deutsche Texte wir nicht verstehen. Das Marienlied, das sie uns vorsangen, hat viel Ähnlichkeit mit Liedern in Südtirol. Mit Kaffee und Kuchen- die Gottscheer Bobolicen und Klapflern- wurden wir gestärkt. Auch der Vorsitzende des Gottscheer Kulturvereins, Herr Ingenieur Grill ist eingetroffen, um uns zu begrüßen.
Eine umfangreiche Ausstellung mit den Modellen der ehemaligen, seit 1945 abgerissenen Gottscheer Kirchen konnten wir bewundern. Das Museum wurde durch den Landeshauptmann Dr. Jörg Haider finanziell gefördert, der auch persönlich zu Besuch kam. Es fällt den Menschen in der fremdsprachigen Umgebung schwer, ihre deutsche Sprache noch zu erhalten, zumal bis 1990 die deutsche Sprache teils verboten oder nur unzureichend gefördert worden ist. Jetzt erteilt jeden Montag ein Österreichischer Lehrer Deutschunterreicht für Jung und Alt im Kulturhaus.
Der 78jährige Herr Heinrich Dralka erwartete uns auch schon dort, denn mit ihm wollen wir in sein unwegsam gelegenes Geburtsdorf hoch oben im Wald fahren.
In einem großen Kreis nehmen wir singend Abschied von dem Grüppchen Gottscheern, die uns so freundlich empfangen haben und die hoffen, Verbindungen zu ihren deutschen und österreichischen Sprachverwandten aufrecht erhalten zu können.

 

Nun wagten wir uns mit unserem 14m langen dreiachsigen Bus auf Holzabfuhrwegen in den Hornwald in das ehemalige Dorf Steinberg. Herr Heinrich Dralka und Herr Grill geleiten uns auf dem Weg hinauf ins Gebirge, den unser Fahrer Karl-Heinz nur mit Skepsis betrachtet. Aber seine Fähigkeit bewältigt diesen schwierigen Aufstieg. Am Ende der unendlichen Wälder kommen wir zu einem Haus, das das einzige eines ganzen Dorfes ist. Herr Dralka erzählte uns aus seinem Leben, das er da oben begonnen hatte. Als 1942/43 alle Gottscheebener die Gegend verlassen mussten, hat sich seine Familie in den Wäldern versteckt, um nicht die Heimat verlassen zu müssen. Zwei Monate lebten sie in den Wäldern nahezu ohne Nahrung. Als sie sich dann endlich aus den Wäldern wieder in ihre Heimat getraut hatten, waren alle 68 Häuser mit 14 Bauernhöfen außer der Kirche von den Italienern und den Partisanen abgerissen. Ihre Heimat war verloren. In dieser Gegend hatte Graf Auersperg das größte Sägewerk in den Jahren nach 1900 errichten lassen. Eine Dampfmaschine betrieb die Sägen. Bis 3oo Holzfuhrwerke kamen wöchentlich und brachten das Holz zur Säge oder transportierten es ins Tal. 1872 war in dem Gebiet nur noch 72% Wald. Innerhalb der letzten 60 Jahre ist das Rodungsgebiet wieder zugewachsen.
Das große Haus, in dem wir Aufnahme fanden, ist keines des alten Dorfes. Deutsche Kriegsgefangenen mussten es nach 1945 errichten, das sie aber mit großer handwerklicher Kunst gebaut haben. Heute ist es das Zentrum für die Imker, die in den Mischwäldern eine gute Honigernte erzielen. Eine bestimmte Reinzucht-Biene dieser Gegend ist sehr bekannt und auch begehrt bei Imkern. Der zum Kauf angebotene Honig war schnell von unseren Gruppenmitgliedern aufgekauft.
Auch hier wurden wir wieder reichlich mit Essen und Trinken versorgt. Ein köstliches Gulasch mit Geselchtem stillte unseren Hunger. Nach vielen Gesprächen machten wir uns um 20.15 Uhr wieder auf den schwierigen Heimweg durch die Wälder. Es gelang alles reibungslos. Gegen 23.00 erreichten wir das Ziel St. Josef in Cilli und fielen müde nach dem beeindrückenden Gottschee-Tag in die Betten

Jost-Ernst Köhler, Fulda