Wintersingwoche 2006/2007

Vorwort aus dem Singwochenberichtsheft

Liebe Teilnehmer an der Wintersingwoche,
liebe Leserinnen und Leser!

Eine Wintersingwoche mit über 90 Teilnehmern in einem neuen Haus, der Jugendherberge Igersheim: Das hätte eine Herausforderung für uns alle sein können! Doch den technischen Leitern, Reinhold und Petra Frank, war das Haus gut bekannt und sie waren allzeit Herr und Frau der Lage. Mit einigen Räumen und Zimmern mehr als früher konnten alle Wünsche der Teilnehmer und der Referenten zur Zufriedenheit gelöst werden. Johannes Brenner konnte seine mittelalterliche Drechselwerkstatt mit den hohen Stangen aufbauen, die Räume der Kinder boten genügend Platz, die Musikgruppen hatten ihre festen Räume zur Verfügung und die Teilnehmer mussten ihre wertvollen Instrumente nicht noch ständig herumtragen und in Sicherheit bringen. Auch die Teilnehmerinnen in der Blaudruckwerkstatt, die große Sing- und Tanzrunde, der Morgenkreis sowie die getrennten Gruppen hatten genügend große Räume zur Verfügung. Selbst das Silvesterbuffet, das ungewohnt reichhaltig war, hatte viel Platz und das Gedränge blieb aus.
So hatte das Haus große Vorteile, und die Herbergsleiter erfüllten uns jeden Wunsch.
Es gab unter den Teilnehmern auch meist sehr zufriedene Gesichter, alles entzerrte sich trotz der anstrengenden Überei auf den Neujahrsgottesdienst hin. Und der klappte dann im Münster in Bad Mergentheim trotz der frühen Zeit um 9.30 Uhr sehr gut, wir waren alle zufrieden.

Das große Lob gebührt allen, Teilnehmern wie Referenten, in gleichem Maße. Die disziplinierte Pünktlichkeit war sehr wohltuend, es blieb eigentlich jegliche Hektik aus.
So haben wir wieder einmal Wintersingwoche in ihrem ganzen Reichtum erlebt: Die beglückenden Tage bis zum Jahreswechsel, die Neujahrsnacht ohne Kälte an der Tanne, den bunten Abend und den harmonischen Zusammenklang aller Instrumentalgruppen beim Abschlussmusizieren, die Kinder und Jugendlichen mit ihren gekonnten Beiträgen, die Werk- und Bastelausstellung und den ganzen Chor. Beim Abschlusstanzfest staunten wir über den schönen neuen Gemeindesaal in Bad Mergentheim. Allen ein herzliches Dankeschön fürs frohe Mitmachen.
Für eine finanzielle Zuwendung des Innenministeriums Baden-Württemberg über das Haus der Heimat, Stuttgart, sage ich im Namen der Veranstalter ebenfalls herzlichen Dank.

Herbert Preisenhammer

Singen und noch viel mehr…

Beim morgendlichen Einsingen habe ich versucht, Euch auf die Singstunden des vor uns liegenden Tages vorzubereiten und dabei die wichtigen Aspekte Lockerung – richtige Singhaltung – Stütze – Zwerchfell – Erschließung des Tonraumes – Beweglichkeit – Intonation – Höhe mit Spaß und Effizienz zu vermitteln. Einen größeren Raum nahmen diesmal die Koloraturen ein, die uns in den Stücken für den Gottesdienst erwarteten. Mich freut besonders, dass die Kinder beim Einsingen so eifrig bei der Sache waren und jetzt den Mamas, die leider nicht mit dabei sein konnten, daheim vorsingen, was sie alles bei der Gerlind gelernt haben. Einer der Schweizer Buben strahlte mich am zweiten Tag an und sagte, die Übungen heute Morgen seien aber „cool“ gewesen # na dann!
Wie üblich standen in den ersten Tagen – neben Weihnachts- und Neujahrsliedern – die Werke für den Gottesdienst im Vordergrund. Für Mozarts Kyrie brauchten wir viel „Geduld und Spucke“, aber es hat, ebenso wie das Sanctus von Bach und die beiden Kanons, in der Kirche prima geklappt und saß auch nach zwei Tagen Pause beim Abschlussmusizieren noch überraschend gut. Das Singen so hoch oben in dieser großen Kirche war, glaube ich, für uns alle ein sehr schönes, erhebendes Erlebnis. Und da wir uns die Zeit mit Singen vertrieben, konnte nicht einmal das Warten vor der Kirche im Regen unsere Stimmung trüben. Im neuen Jahr widmeten wir uns mehr den weltlichen Werken wie dem Chor aus Mozarts Freimaurerkantate, den wir uns mithilfe der Instrumente – Streicher, Querflöten und Klarinetten – rasch aneigneten und der die Halle akustisch fast sprengte, außerdem dem Minnelied, Mozarts Brief-Kanon und dem Chor aus der Zauberflöte und Herberts neuem Neujahrslied, an dessen zentraler Aussage „auch dieses Jahr lässt Freuden blühn“ mancher musikalisch noch zu knabbern hat # nächster Jahr werden wir uns wundern, was denn daran schwer sein soll, wetten wir?

Mit den „Unterfünfzigern“ habe ich das bekannte Lied „Der Jäger längs dem Weiher ging“ in einem Satz von Fritz Dietrich erarbeitet. Es hat richtig Spaß gemacht, die vielen guten Ideen der Teilnehmer umzusetzen und auszuprobieren, was am besten klingt und wirkt. Dass uns eine tolle Geschichte gelungen ist, haben die Reaktionen von einigen „Überfünfzigern“ bestätigt, die das Lied zwar kannten, aber nach eigener Aussage noch nie so differenziert dargeboten gehört haben.
Abgerundet wurde das tägliche Singprogramm durch das Singen nach dem Abendessen, wo wir versuchten, mit einfacheren oder bekannten Liedern – meist Weihnachts-, Neujahrs- und Abendliedern – die Konzentration nicht überzustrapazieren. Nicht zu vergessen natürlich die nächtlichen Singrunden, wo viele Sänger eine erstaunliche Ausdauer zeigten!
Sehr erfreulich fand ich, welche Zahl und Vielfalt an Instrumenten vertreten war. Wann hatten wir schon einmal 5 Querflöten oder 3 Klarinetten? Dass durchweg auf anspruchsvollem Niveau musiziert wurde, konnten wir beim Abschlussmusizieren hören.

All die anderen Aktivitäten haben mir ebenfalls viel Freude bereitet. Das Tanzen wurde von allen drei Referentinnen so nett und humorvoll angeleitet, dass man fast ausschließlich in fröhliche Gesichter blickte (warum schauen nur beim Singen so viele so ernst?). Bemerkenswert finde ich, dass wir jedes Jahr zu lebendiger Musik tanzen können; diesmal fanden sich bis zu sieben (wenn ich mich nicht verzählt habe) Musiker ein und spielten schwungvoll und unermüdlich auf. Am Werken und Kinderprogramm konnte ich naturgemäß nicht teilnehmen, doch die Ergebnisse, die uns am Ende der Woche präsentiert wurden, konnten sich hören und sehen lassen. Nicht zu vergessen natürlich die teils nachdenklichen, teils ausgesprochen heiteren Gute-Nacht-Geschichten # wem huscht nicht unwillkürlich beim Gedanken an „Die 5. so genannte feuchte Sinfonie“ ein Lächeln übers Gesicht?
Ein besonders schönes Erlebnis ist für mich immer der Bunte Abend, weil neben altbewährten Darbietungen immer wieder unerwartete Talente zum Vorschein kommen – wer hatte schon geahnt, dass wir solche Improvisationstalente unter uns haben? – und sehr Ernstes neben Fröhlichem und Komischem seinen Platz hat.
Diesen kleinen Rückblick möchte ich schließen mit einem herzlichen Dank Euch allen für Euer Dabeisein und Mittun und für Eure Gaben, mit denen Ihr Euch einbringt, und allen Mitreferenten für die harmonische Zusammenarbeit.

Gerlind Preisenhammer, Stuttgart

Brief einer Teilnehmerin

Lieber Walther Hensel,

wieder haben wir eine Wintersingwoche erlebt, wieder sind wir sang- und klangerfüllt nach Hause gefahren, erfüllt vom Singen und Tanzen, vom Musizieren und Feiern.
Nun ist meine Familie der Gesellschaft beigetreten, die Deinen Namen trägt; das taten wir eigentlich nur, um unsere Anerkennung und Verbundenheit zu zeigen. Doch was es damit alles auf sich hat, sollte ich erst später erfahren in den Schriften über die Finkensteiner Singbewegung.
So habe ich ein wenig über Euch gelesen, Walther und Olga Hensel. Nun ahne ich, dass wir nicht nur Herbert und Reinhold, sondern auch Euch beiden und vielen anderen die schöne Erfahrung einer Singwoche verdanken.
Einige Deiner Lieder, Walther Hensel, habe ich schon gesungen; persönlich begegnet bin ich Dir nie. Als Du unsere Welt verlassen hast, bin ich gerade in ihr angekommen. Womöglich aber habe ich die Früchte Deiner Arbeit geerntet, denn Gesang und Volkslied lebten in meinem Elternhaus und haben mich geprägt von Anfang an.
In der Kindheit gelernte Lieder gehen nie verloren. Wohl aber kann die Stimme zeitweise verloren gehen, wenn sie nicht richtig gepflegt wird. Diese schmerzliche Erfahrung musste ich im letzten Jahr machen. Beim Einsingen in der Wintersingwoche ist meine Stimme (und die Seele) wieder frei geworden.
Jetzt bin ich einer guten Chorgemeinschaft beigetreten.
Auch manch anderer hat durch die Singwoche neuen Schwung bekommen. So lernt ein Mädchen nun Altflöte, damit sie beim nächsten Mal im Flötenchor mitspielen kann (vor allem das Mund-Stück hat es ihr angetan!). Ein junger Bursche geht ab sofort zur Orchesterprobe, weil er erlebt hat, dass gemeinsames Musizieren viel Spaß macht. Ein Mensch, der sich beim Chorsingen ziemlich anstrengen muss, hatte sogar das Bedürfnis, mit Wisiwo-Leuten seinen Geburtstag zu feiern (obwohl es keine runde Zahl war, nur eine Primzahl!); da gab es Blas- und Stubenmusik, Kreistanz und Liedersingen zu Akkordeon und Gitarre. Die ganze Gesellschaft war sich einig: so schön war das Feiern (fast) noch nie – es sei denn in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig!
Ja, Gelegenheit zum Feiern gab es in der Singwoche oft genug: Silvester und Neujahr, Geburtstage und Morgenfeiern, Bunter Abend und Tanzfest, Abschlusskonzert…
Das alles habt Ihr beide, Olga und Walther Hensel, vor über 80 Jahren in Finkenstein angelegt. Aufbauend wolltet Ihr damals mit dem Chorsingen wirken, versöhnend, verbindend und heilend.
Und wir heute? Wird es uns gelingen, weg von der oberflächlichen „Berieselung“ zum lebendigen Musizieren zu finden und damit unsere inneren schöpferischen Kräfte zu wecken? Die Antwort lautet: Ja – solange es Singkreise und Singwochen gibt!
Lieber Walther Hensel, bitte sieh uns nach, dass wir uns nicht mehr an die strengen Gebote vom Finkenstein halten. Damals ertönte der Weckruf um halb sechs Uhr (sofortiges Aufstehen war Pflicht!), dann folgten Körper­übungen und Bad im Freien. Wir dagegen wurden um sieben Uhr geweckt, und die Duschen waren warm.
Die Gemeinschaftsabende haben sich in die Nacht hinein verlagert, und von „unbedingter Ruhe in allen Räumen ab 22 Uhr“ konnte keine Rede sein.
Auch die „fleischlose Küche“ und die gebotene „Enthaltsamkeit von Rauch- und Rauschmitteln“ muss von unseren Teilnehmern neu interpretiert werden (ist Wein ein Rauschgift?).
Bitte, störe dich nicht an mancher Aufweichung der Finkensteiner Gebote. Alles in allem sind wir auf dem richtigen Weg, „das schlicht und zeitlos Menschliche in die neuen Verhältnisse mitzunehmen“, wie Du es Dir gewünscht hast.
Dabei fällt mir ein, was ich mir für uns Neulinge wünsche: mehr vom Ur-Finkenstein kennen zu lernen, vielleicht in Form von erzählten Anekdoten. Denn wer kann dem jungen Volk Geschichte und Lehrer des Volksliedes besser nahe bringen als die „alten Hasen“? Sie haben die Hensels, Gneist, Sturm und Derschmidt womöglich noch selbst erlebt und sie kennen aus der Kindheit die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Wandervögel und die Sprachinseln im Osten. Ihr Ältere könnt uns Jüngere mit euren erzählten Erlebnissen sehr bereichern.
Denn nur mit dem lebendigen Wort kann der Funke überspringen. Das ist auch so beim Volkslied – Lesen reicht nicht aus, wir müssen es singen und hören.
Gerne wollen wir Märchenleute die weise Überlieferung aus dem Volksgut beitragen. Denn wie das echte Volkslied sind auch die echten Märchen tief und ernst, innerlich und treu, schalkhaft und froh.
So viel für heute. Dank an alle, die mit uns singen, tanzen und musizieren. Mag sein, das ist „was die Welt im Innersten zusammen hält“.

Stimmst du da mit mir überein, Walther Hensel?

Mit singenden, klingenden Grüßen
Cora Büsch, Kierspe